The Rock Tour 3 – Begegnung
Es ist ca. 4.15 Uhr, als der Bus eintrifft. Die anderen mussten dementsprechend noch früher auf als ich. Wie das die Gruppe wohl erträgt? Wir sind im Übrigen eine bunt zusammengemischte Truppe. Ehepaare, Hippies, Hipsters, genervte Deutsche und ich. Niemand dabei, den ich jetzt für immer zum Freund haben möchte, aber um die Tour geniessen zu können, sind sie allemal okay. Meine Nase meldet sich zurück. Sie ist nahe am Abfallen und immer noch verstopft. Das ist so unangenehm bei der Hitze. Ich habe mich aber inzwischen daran gewöhnt. So ist es jetzt halt – hier kann niemand zaubern und die Nacht in der Wildnis hats auch nicht besser gemacht.
Wir fahren mit dem Bus direkt zurück in den Park und erleben einen wunderschönen Sonnenaufgang am Ayers Rock. Jeder kriegt seine Fotos und ich trinke noch mein letztes Bier vom Vorabend. Ich muss mich für die anstehende Umrundung (zehn Kilometer) schon etwas motivieren. Da kommt mir die Idee! Ich habe noch etwas Akku auf meinem Handy und dieser reicht genau um mich zwei Stunden lang mit «The Dead Weather» und «The Kills» zu beschallen. Ich sags euch, was düse ich eins um den Stein. Nach zwei Stunden bin ich wieder da und habe gut 30 Minuten Vorsprung auf die Anderen. *harr*
Ich lasse ich es mir nicht nehmen, mir einige Gedanken über diesen Felsen und seine touristische Vermarktung zu machen. Das Land wurde ja 1985 an die Aborigines zurückgegeben mit der Klausel, es für 99 Jahre an Australien zu verpachten, die nun 100 Jahre lang mit dem höchsten Heiligen Berg den grossen Reibach machen. Fotografieren ist an den meisten Orten verboten. Das hat damit zu tun, dass wenn Aborigines zu Männern werden wollen, werden sie von ihren Vätern auf eine Wanderung geschickt, von der sie Jahre nicht zurückkehren. Als Höhepunkt dieser «Pilgerreise» besteigen sie den Uluru (Ayers Rock). Stellt euch mal vor, ein Abo-Junge googelt «Ayers Rock» und findet ein Foto wie es oben aussieht. Was für n Schlag in die Fresse! Warum fünf Jahre Wandern, wenn die Erleuchtung im Internet zu finden ist? Kulturentfremdung. Ein weiteres Indiz dafür, wie gut funktionierend ihre Zivilisation war und wie schlimm sie endet, sobald sie mit unserer aufeinander trifft. Ich kenne mich ja kaum aus, aber was mich ebenso fasziniert, ist, dass man durch die Wanderungen die Inzucht umgeht. Man weiss ja, wie es in Europa einigen Adelsfamilien ergangen ist, die sich ja quasi zu-Tode-geheiratet haben. Die Aborigines haben das verstanden. Wir werden nochmal darauf hingewiesen, die Aborigines in Alice nicht als Beispiel anzusehen. Es leben immer noch Tribes an verschiedenen Orten des Landes in sehr ursprünglicher Art und Weise. Die hier sind im Westen gestrandet und seinen Reizen erlegen.
Es gibt Besucher hier in Alice, die sind von den Horrorgeschichten so eingeschüchtert, dass sie sich vom Hostel in die Stadt, für die 400 Meter ein Taxi nehmen. Auch ich habe ab und an ein mulmiges Gefühl. So auch heute. Ich kann einfach nicht den ganzen Abend hinter Gittern im Hostel sitzen. Auf dem Weg in die Stadt werde ich auf eben diesen 400 Metern dann auch prompt ins Auge gefasst. Etwa 20 Aborigines sitzen im ausgetrockneten Flussbeet. Man sieht nur ihre Lagerfeuer. Eine Frau weint, zwei, drei Männer schreien laut. Zu viel Alkohol ist bereits geflossen.
Plötzlich spüre ich eine Hand auf meiner Schulter, ich schnelle herum und mein Herz schlägt mir bis zum Hals … Jetzt ist es aus, denke ich mir. «Calm down my friend!» Balun hat eine rauhe, aber ruhige Stimme, ganz im Gegensatz zu seinen Kollegen weiter unten. Er riecht zwar auch etwas nach Bier, trotzdem gewinnt er mein Vertrauen und mein Herz beruhigt sich wieder. Er trägt nur ein Paar dreckige Jeans und seine Nase ist die wohl breiteste, die ich je in meinem Leben gesehen habe.
Ich fühlte mich wie im falschen Film, als Balun, was übersetzt «Fluss» heisst, mich zu einem Bier einlädt. Drehe ich denn jetzt völlig durch, so was zu tun? All die Horrorgeschichten über ermordete Touristen, über Raubüberfälle und sonstige Exzesse. Balun weiss um den Ruf seines Stammes hier in Alice und als wir uns setzen, spüre ich seine Freude über mein Vertrauen. Wir sitzen nicht lange alleine da. Jeder will bei uns sein und die Stimmung ist fröhlich und ausgelassen. Jeder will mit dem Weissen sprechen, der sich freiwillig zu ihnen setzt. Ich erwähne nicht, dass Balun mich einfach aufgelesen hat und spiele augenzwinkernd mit.
Es wird eine lange Nacht mit viel Smalltalk über Dreamtimes, Gesang, Kultur und Kuhmelken. Mir ist das Recht, weil sie, so lange wir diskutieren, nicht trinken. Balun bringt mich nach einigen Stunden zurück zum Hostel. Ich habe noch gar nicht begriffen, was soeben geschehen ist.