Leben mit dem Vulkan
Der Zug schlängelt sich gemächlich der Küste entlang. Das Licht hüllt die Welt auf der anderen Scheibenseite in ein milchiges gelb-blau das uns mitteilt: es ist noch früh morgens. Wir sehen die Bauern aus ihren traditionellen Giebelhäusern kommen und den Reis zu kleinen dreieckigen Türmen aufbauen, damit er in der aufgehenden Sonne trocknen kann. Daneben steht ein weisser Kranich seelenruhig am Wasser und wartet auf den ersten Fehler seiner Beute. Die ersten emsigen Leute beginnen die Strassen zu füllen und in der Ferne fahren die Autos auf dem Highway, der erhöht an der Bergkette entlangführt. Für uns ist das alles noch zu früh. Es sitzt sich bequem in den Ledersesseln und an der Sitzlehne vor uns kann das Ticket deponiert werden. Somit können wir dösen, ohne das der Schaffner uns wecken muss. ZZZzzz.
Unser Ziel ist Yakushima. Eine Insel 150 km weit weg vom südlichsten Punkt des Festlandes. Man kennt die Insel für ihre Wanderwege durch giftgrüne Wälder und die Verbundenheit ihrer Bewohner zur Natur und der Geisterwelt, die schon einige Künstler inspiriert hat. Auf dem Weg dorthin, müssen wir in Kagoshima übernachten, um am nächsten Morgen die Fähre zu erwischen für die 4h Überfahrt. Viel wissen wir nicht über Kagoshima, viel wollen wir zuerst auch nicht wissen, weil es uns sonst nervt, dass wir hier nur wenig Zeit haben. Aber so einfach ist das nicht, wie wir gleich nach der Ankunft merken.
Die Stadt liegt in einer runden Bucht, aus deren Mitte ein massiver Vulkan herausragt. Und um den Anblick noch eindrücklicher zu machen, steigt daraus eine stete Rauchwolke auf. Kagoshima hat in seiner Bucht, keine 10 Minuten mit dem Boot einen aktiven Vulkan stehen, dessen Eruptionen manchmal mehrmals täglich Asche speien. Wie sehr das Leben der Leute dadurch beeinflusst ist, spürt man dann, wenn in den Nachrichten neben dem Wetter auch die Aschevorhersage kommt. Dazu kommen etliche kleine Erdbeben, die wir in der Nacht besonders spüren. Die Menschen hier leben jeden Tag damit und es ist ihre Kultur geworden in Einklang mit dem Berg zu leben, denn das ist für sie Kagoshima – ihre Heimat.
Wir wurden von der Situation und dem schönen Wetter so angezogen, dass wir die Überfahrt zum Vulkan auf uns nahmen und mit dem Bus so nahe wie möglich an den Berg fuhren. Sehr nahe ist das leider nicht, weil alles weiter oben Sperrzone ist. Die Japaner sind hier einiges vorsichtiger, wie noch die Indonesier, die jeden Gast auf ihre Berge lassen, wenn das Geld stimmt. So unterscheiden sich die Orte und die Wahrnehmungen von Situationen. Wir sehen, dass am Hang des Berges Schneisen in den Wald gerodet wurden und riesige siloartige Blockaden aufgestellt worden sind, falls der Berg stärker ausbrechen sollte, als er es im Moment tut.
Uns wird sogleich klar, hier lebt man mit dem Vulkan im Einklang. Man hat sich damit arrangiert, dass man nicht über alles die Kontrolle hat. Man nutzt die Gunst der Stunde und pflanzt spezielle Früchte an, die in der fruchtbaren Vulkanerde besonders gut gedeihen und produziert wahnsinnig süsses und gutes Schweinefleisch, was die TV-Stationen des ganzen Landes nach Kagoshima pilgern lässt. Sendungen über Essen oder Leute, die Essen essen oder Leute, die Leute beobachten, wie sie Essen essen, boomen. Als wir am Bahnhof aussteigen, sehen wir die Vorbereitungen für eben eine solche Sendung.
Wir sind beeindruckt von all dem und mit dem Wissen, dass die Erde unter uns heute extra sanft bebt, schlafen wir tief und fest durch. Wir spüren wie speziell und intensiv ein Ort doch sein kann, auch wenn man nur wenige Stunden dort ist.