Geschichtslektion aus Nagasaki (by Sarah)
An Nagasaki haben wir keine Erwartungen. Wie gesagt, wollten wir eigentlich Hashima Island besuchen, die verlassene Insel, die man aus dem James Bond Film Skyfall kennt. Die sowieso schon baufällige Insel wurde vom Taifun beschädigt und ist bis auf Weiteres nicht mehr zugänglich. Wir entscheiden uns, der Stadt trotzdem eine Chance zu geben, aber halt ganz entspannt, da wir nun keine grossen Pläne mehr haben.
Im Akari Hostel direkt am Fluss mit den unzähligen, charmanten Brücken haben wir die perfekte Unterkunft dafür gefunden. Es ist gemütlich, ruhig und die hilfsbereiten Mitarbeiter geben uns gerne Tipps. Was wir bei unserer Ankunft am interessantesten finden, sind die vielen Restaurant-Empfehlungen. Schon in Hiroshima wollten wir unsere Bäuche mit Shabu-Shabu (japanischer Hotpot, wie Fondue Chinoise, aber man kocht auch Gemüse und Pilze mit) vollschlagen. Hier in Nagasaki finden wir was wir suchen. Die nächsten 2 Stunden schaufeln wir fleissig All-you-can-eat-Hotpot in unsere Münder und rollen danach fröhlich nach Hause.
Auf Hashima Island, oder Gunkanjima, wie sie später getauft wurde, wurde von lokalen Fischern im 19. Jahrhundert Kohle entdeckt. Im Jahre 1890 hat Mitsubishi die Insel aufgekauft und begonnen in Stollen unter dem Meeresboden Kohle abzubauen. Durch Anbauten und Erweiterungen wurden aus 2 Hektaren schnell 6 Hektaren, die die Insel umfassten. Die Insel war mit ihren 5'200 Einwohnern der am dichtest besiedelte Ort der Welt. Diese Bevölkerungsdichte forderte Innovationen und in vielen Bereichen war die Insel ein Vorreiter von neuen Technologien.
Die Arbeit in den Stollen war mühselig und gefährlich. In 1'000 Meter und der Meeresoberfläche herrschten um die 35 Grad und eine Luftfeuchtigkeit von bis zu 95%. Die Arbeit brachte den Minenarbeitern und ihren Familien aber ein komfortables Einkommen und den Menschen auf Gunkanjima fehlte es an nichts. Als die Mine 1974 geschlossen wurde, da nun Öl die Hauptenergiequelle wurde, verloren 5'000 Menschen ihr zu Hause, wo sie wie eine riesige Familie Tür an Tür gewohnt hatten. Seit Juli 2015 ist dieses unglaubliche von Menschenhand geschaffene Stück Industrialisierungsgeschichte als UNESCO World Heritage gelistet.
Wir finden heraus, dass es seit Kurzem ein Digital Museum gibt und lassen uns von den vielen Fotos und Videos in diese Zeit zurückversetzen. Sieht eigentlich ziemlich lebenswert aus. Durch VR-Technologie fühlt es sich sogar fast an, als wären wir trotzdem dort gewesen (auch wenn uns danach ein bisschen schlecht ist).
Unser Spaziergang durch den Glover Garden unternehmen wir an diesem sonnigen Tag mehr wegen der tollen Aussicht auf die Stadt umringt von Hügeln, den Hafen und das riesige Kreuzfahrtschiff. Nebenbei lernten wir aber über die Isolation Japans, die fast 2 Jahrhunderte dauerte. Ausländern war es verboten, das Land zu betreten. Einzige Ausnahme war die künstliche Insel Dejima vor Nagasaki, wo ein paar protestantische Holländer leben durften, um den Handel mit dem Westen fortzusetzen, natürlich streng reguliert und kontrolliert. Zeitzeugen sind die geräumigen Anwesen der holländischen Geschäftsmännern, die nicht mehr an ihrem ursprünglichen Ort stehen, sondern kunstvoll in den Glover Garden gesetzt wurden.
So, damit hatten wir genug Geschichte. Nochmals ein Atombomben-Museum konnte unsere Moral nicht verkraften, wollten wir doch den Glauben an die Menschheit nicht gänzlich verlieren. Trotzdem ist nicht an uns vorbeigegangen, dass über der Stadt Nagasaki ein paar Tage nach Hiroshima auch eine Atombombe abgeworfen wurde. Die Bombe „Fat Man“ hatte sogar einiges Mehr an Sprengkraft, als Hiroshimas „Little Boy“. Wieder ist die Zahl der Toten unermesslich hoch, die umliegenden Hügel bremsten aber die Schockwelle der Explosion etwas ab, so dass der Schaden minim eingedämmt wurde.
Von diesem harten Schicksalsschlag zeugen hier nur noch die Monumente und Museen. Nagasaki ist eine der freundlichsten Städte, die wir bisher besucht haben. Man fühlt sich willkommen und die warme Gastfreundschaft der Leute hier und der Charme der Kleinstadt lassen uns entspannen und wir planen in Ruhe unsere weitere Reise, denn wir haben noch einige Tage bis unser JR Railpass abläuft und Fortbewegung wieder teuer wird.
Ausserordentlich gut gegessen haben wir hier ebenfalls. Auch wenn wir in Japan eigentlich noch nie schlecht gegessen haben, liessen wir es uns hier äusserst gut gehen. Da durfte ein Yakitori (einzelne Spiessli, die frisch auf dem Grill geschmissen werden) und ein Sushi-Restaurant, das statt Servierpersonal einen Zug hatte, der die Speisen nachdem man sie auf dem iPad bestellte an den Tisch fuhr. Sehr fancy.
Zufrieden mit unseren Tagen in Nagasaki wollen wir noch einen kleinen Teil beitragen und lernen im Hostel wie man einen Origami-Kranich faltet. Der Kranich, der hier zum Sinnbild des Friedens geworden ist. Jedes Jahr findet eine Friedensfeier statt, bei welcher Origami-Kraniche gespendet werden. 6 Kraniche haben wir geschafft.