Hiroshima
Wenn man im Westen an Hiroshima denkt, dann nur wegen eben dieser einen Sache: die Atombombe. Zweifellos war das ein Ereignis mit einer unvergleichlichen Magnitude, das den Namen und die Stadt geprägt hat. Viele Touristen besuchen die Stadt kurz, schauen sich das Museum an und gehen weiter. Wir nehmen uns 3 Tage Zeit und sind gespannt, wie Hiroshima heute ist.
Wir checken in unser Hostel ein. Es ist eines dieser für Japan typischen State-of the art Hostels, dass eher mit einem Kapselhotel als mit einem Hostel zu vergleichen ist. Auf die Privatsphäre wird sehr geachtet. Beinahe etwas zu sehr, finde ich. Wir sind aber so kaputt vom Wandern die letzten Tage in Magome, dass dies auch okay ist. Somit sind wir froh, dass die Wege hier kurz sind...
Die Geschichte
Japan hat eine sehr verworrene und komplexe Geschichte. Schon seit Tagen versucht vor allem Sarah dieses Gebilde zu verstehen. Hiroshima spielt seit 1000 Jahren eine wichtige Rolle als Handelshafen und wurde entsprechend früh besiedelt. Die 5 Dörfer im Flussdelta wuchsen mit der Zeit zu einer Stadt zusammen, die von einem Schloss aus, umgeben von einem ausgeklügelten Kanalsystem, regiert wurde.
Die ganze Geschichte wird von einem Ereignis überschattet, dem Abwurf der ersten Atombombe. Ich denke Vielen unserer Generation fällt es schwer, die Signifikanz dieses Ereignisses einzuordnen. Obwohl wir vom Krieg in der Schule lernen, so können wir uns all die Facetten nicht vorstellen und verstehen, weil wir es nicht erlebt haben. Unvorstellbar ist es auch, nun in einer lebhaften Stadt zu stehen und genau zu wissen, dass kein Gebäude hier älter ist als 1945 – ausser Einem. Der Atomic Bomb Dome, wie er heute heisst, der einzige Zeitzeuge, mit einem Museum nebenan, das einem die Nerven aufreibt und Gefühle hochkommen lässt, Wut und Unverständnis über die Entscheidung kurzerhand alle Menschenleben einer ganzen Stadt auszulöschen. Bislang habe ich nur einen solchen Ort in der Welt erlebt und das war das Kriegsmuseum von Saigon. Ich habe mir lange überlegt, wie ich das schreiben soll und habe keine Ahnung ob das gut ist, aber es fühlt sich richtig an: Der Schuldige ist die Menschheit, die seit sie den Begriff „Besitz“ definieren kann, sich gegenseitig bekämpft... Die Unschuldigen geben dabei den Nährboden, über den sich der Parasit hinweg fortbewegen kann.
Wir können es jedem herzlich empfehlen, mal so einen Ort zu besuchen. Es tut nicht gut, aber es ist wichtig.
Hiroshima Heute
Wenn man neu anfangen kann, dann kann man es richtig machen. Die Stadtplanung hier hat von Beginn weg breite Strassen angelegt und einen guten öffentlichen Verkehr, den wir aber nicht nutzen weil wir denken, das sieht ja so nah aus, das können wir ja laufen. So sollte es kommen, das wir diese Tage den absoluten Schrittrekord brechen. Wie konnte das sein? Auf der Karte sah doch alles so nah aus...
So wirkt hier alles sehr gemütlich, es gibt kaum Gedränge auf der Strasse und alle sind entspannt irgendwo am Essen. Sie lieben es. Besonders 2 Dinge. 1. Okonomiyaki, eine Art Fladen, der auf einer heissen Platte gemacht wird. Den Wirbel darum können wir nicht nachvollziehen... auch nicht wie man so Fan davon sein kann, dass es im Zentrum ein Gebäude gibt, dass über 5 Stockwerke nur Okonomiyaki-Restaurants beherbergt. Es ist schlicht nicht unserem Geschmack entsprechend. Wenn sie dann essen oder trinken schauen sie am liebsten (Ihr Ding Nr. 2) Baseball. Die Hiroshima Carps sind hier an jeder Ecke anzutreffen. Immer trägt irgendwer ein T-Shirt und jeder Shop hat eine Ecke, wo Carps-Merchandise verkauft wird. Wer denkt, dass Karpfen ein etwas komischer Name für ein Baselball-Team ist (wie ich, weshalb ich es recherchiert habe), der findet heraus, das Karpfen für Glück und Durchhalten stehen. Das Team wurde nach dem Krieg neu gegründet und weil es in Hiroshima keine Wirtschaft mehr gab, die das Team sponsern konnte, wurde es von den Privatleuten von Hiroshima gesponsert. Es war die erste Art der Unterhaltung, auf die Beine gestellt von den geschundenen Menschen der Stadt, was die tiefe Verbundenheit, die bis heute reicht, erklärt. Die Spiele sind ausverkauft und in der Stadt finden regelmässig Fanmärsche statt... wir dachten zuerst es wäre eine Demo.
Wir finden, in Hiroshima lässt es sich leben, denn dieses wegweisende Erlebnis, dass die Bevölkerung durchmachen musste, ergibt bis heute einen speziellen Zusammenhalt. Alles ist mit diesem Ereignis verwurzelt und das spürt man. Wer sich Zeit nimmt, der beginnt die Vorteile davon zu erkennen und kommt damit klar, oder nicht. In unserem Fall sind wir dankbar, für das, was wir erleben durften (und den neuen Schrittrekord), begeben uns jedoch auch gerne auf die Weiterreise.