top of page
Tokio

Die Japaner nehmen’s gelassen


Während die Weltpresse in Panik über den Taifun schreibt, ist die einzige Reaktion des Mannes an der Rezeption, die Aussage “stürmisch draussen“. Trotzdem sind wir froh, dass wir es gerade noch vor dem Sturm ins Hostel geschafft haben. Während für uns die Nacht eine unruhige ist, ist es für die hier Lebenden bereits der 24. Tropensturm dieses Jahr. Man hat alle Sicherheitsvorkehrungen getroffen und nun wartet man. Wir sehen die nächsten Tage dann auch im Ueno Park, dass es einige schwere Bäume auf Häuser geknickt hat. Tokyo ist weitgehend unbeschadet davon gekommen. Nicht so Osaka. Die Provinz Kensai hat nach der Rekord-Hitze im Sommer, den darauffolgenden Fluten nun den zweiten Starken Taifun abbekommen.

Wir sind also back in Japan! Seit wir vor 2 Jahren einige Tage hier waren, war es ein Wunsch zurück zu kommen. Und sogleich fühlen wir uns underdressed. Tokio ist die Stadt der Anzugträger. Das hat eine fundierte Geschichte die bis zum grossen Kanto-Erdbeben und WWII zurückgeht. In beiden Fällen wurde die Stadt dem Erdboden gleichgemacht. Um wieder auf die Beine zu kommen, schworen sich Arbeiter und Firmen gegenseitig die Treue, weil man wusste, ohne Selbstlosigkeit und Loyalität beider Seiten wird das nichts. Nur so war es möglich, dass man sich aus der Asche des WWII innerhalb 20 Jahre zur zweitgrössten Volkswirtschaft der Welt hocharbeitete.

Diese Verbundenheit zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber ist bis heute verankert. Nicht wenige bleiben ihr ganzes Leben in der gleichen Firma, die oft wichtiger wird, als die eigene Familie. Somit ist auch der Anzug the Outfit of Choice und steht mit dem Schwarz-Weissen im Kontrast zu den grell-bunten Neonlichtern. Wir beschliessen unsere Jungle-Kleider zu versorgen, um nicht komplett abzufallen und trinken unter den Lampions der Golden Gai einen Japanischen Whiskey und Gin Tonic mit Kiwi.

Südost-Asien hat uns ein wenig zugesetzt. Wir spüren die Nachwirkungen noch gut eine Woche in unseren Bäuchen. Deswegen gehen wir es entspannt an. Wir haben vieles schon gesehen womit das langsame Tempo vertretbar ist. Zudem feiern wir die sauberen Duschen mit viel (warmem!) Wasser und das wir alles essen können, ohne uns Sorgen zu machen. Trotzdem, uns fehlt schlicht noch die Energie. Nicht so wie den Sumo Ringern des Abashio-Stalles in der Nähe des Sumo-Stadions. Obwohl eben gerade ein grosses Turnier war, trainieren sie schon wieder fleissig im Ring. „Rikishi“, wie sie genannt werden, leben und trainieren am gleichen Ort. Ein spezielles Gefühl ihnen quasi durchs Stubenfenster zuzusehen, aber nicht weniger eindrücklich.

Tokyo ist keine Stadt, die einen als Tourist erwartet und niemand stürzt sich auf einen, sobald man landet. Die Japaner sind sehr zurückhaltend und überaus freundlich. Auch das kommt aus dem Misch-Masch an religiösen Einflüssen, welche die Kultur geprägt haben. Man versucht in Einklang zu leben und als Individuum keinen Aufwand zu bereiten, weshalb man sich an Regeln hält und jedes Vergehen verachtet wird. Aber auch nur so kann ein Ballungszentrum von 20 Millionen Menschen auf engstem Raum miteinander funktionieren. Die wenige Freizeit, die die Menschen haben, soll dafür Quality-Time sein und entsprechend ist alles durchdacht und optimiert, damit jeder stressfrei seinen Weg gehen kann. Für uns Gäste ist diese Art des Lebens extrem entspannend und wo jede andere asiatische Stadt hektisch und wild wäre, so ist diese hier purer Zen.

Allgemein treffen wir immer wieder Situationen an, wo man die Balance dieser Stadt spürt. Zum Beispiel sind wir beide sehr grumpy aufgestanden, weil in unserem Schlafsaal einer den Rest Sumatras abholzte, was lauter war, als der Tauifun die Nacht davor. So grummelten wir durch die Strassen und ich grummelte noch etwas mehr, weil ich keine Raucherecke fand, als wir plötzlich an einem Sportplatz stehen wo Vorschulkinder für einen Anlass übten. Jede Gruppe hatte eine andere Farbe Mützchen auf und diese Mützchen waren so klein, dass sie auf die noch kleineren, süssen Köpfchen der kleinen Kinder passten. Ein so wonniger Haufen kleiner Menschen haben wir beide noch nicht gesehen und wir können nicht anders und zusehen, bis uns das Herz komplett wieder aufgegangen ist. Die Musik dazu passend, eine typisch schrille Kinderversion von Disneys Sieben-Zwerge Lied. „Hayho, Hayho..“ :D

Apropos – mir persönlich sagt die japanische Pop-Kultur mit ihrer Abgefahrenheit sehr zu. Zudem liebe ich die hier heimischen Videospiele. Wenn wir gerade von Quality-Time gesprochen haben, so ist es nur logisch, dass man bei diesen intensiven Arbeitsleben gerne ausbricht. Weil sie so wenig Urlaub haben, machen das die Japaner oft über Mangas, Animes und Videospiele. Es werden einerseits die Spiele bevorzugt, die einen in eine Fantasy-Welt entführen und epische Geschichten erzählt werden oder Sammelspiele wie Pokémon oder Monster Hunter. Ich fühle mich endlich nicht mehr wie ein Freak, wenn ich im Zug meinen Nintendo-Switch hervornehme und mir 20 Minuten Auszeit gönne. Die Krönung dieser Schrillheit findet man jedoch erstaunlicherweise nicht im Okatu (Nerd)-Viertel Akihabara sondern in Shinjuku, wo sich das Roboter-Restaurant Weltruhm erarbeitet hat. Wir haben das letzte Mal schon mit dem Gedanken gespielt und sind dann aber am „ääääh, das ist doch so touristisch“ gescheitert. So gönnen wir es uns diesmal und haha... omg... es war so gut! Wer leuchtende Roboter mag und wenn einem ein tanzender LSD-Trip direkt ins Gesicht schreit, der ist hier Richtig. Schaut euch die Bilder an.

Die nächsten Tage werden wir Nikko und Nagano besuchen, bevor wir für eine Nacht zurück nach Tokyo kommen, wo ein weiteres Highlight auf uns wartet (also mehr auf dich, würde Sarah sagen) King of Pro Wrestling in der Sumohalle. Es ist sehr befriedigend Nerd sein zu dürfen, denn die Japaner nehmen’s gelassen.

Stimmungsvolles Tokyo

Anchor 1
bottom of page