Eine Balkanreise
Im letzten Jahr meines Studiums zum Tourismusfachmann an der Academia Engiadina in Samaden, erhielt ich die Möglichkeit für meinen Jahrgang das jährliche Auslandsseminar zu organisieren. Die Reise führte in einen überraschenden und eindrücklichen Balkan. Natürlich gab es viel Bier und es wurde auch schön Studenten-a-like gefeiert, im Vordergrund stand auf jeden Fall das kulturelle Erlebnis.
Meine Mitstudentin Sayuri Berini, nahm diese Reise zum Anlass, einen Artikel für die Tourismus-Partei.ch zu verfassen, den ich euch hier an dieser Stelle nicht vorenthalten möchte und mit ihrer herzlichen Erlaubnis publizieren darf.
#unfiltered: Eine Reise durch den Balkan Von Sayurini Berini
Bosnien Herzegowina, Kroatien und Montenegro.Meine letzten „Ferien“ (es war genau genommen eigentlich eine Studienreise) verbrachte ich in diesen drei Ländern. Eine ungewöhnliche Wahl? Am ehesten würden Herr und Frau Schweizer wahrscheinlich nach Kroatien fahren, da man das schon „kennt“. Aber Bosnien Herzegowina oder Montenegro? Kaum.Ich denke, dass es zwei Dinge gibt, die die Schweizer davon abhalten im Balkan Urlaub zu machen:
1. Die Länder sind als Urlaubsdestinationen zu wenig bekannt. Italien hat immer noch das Assoziations-Monopol auf die schönen Bilder der atemberaubenden adriatischen Küstenstreifen.
2. Medien sind grundsätzlich gut. Sie lassen einen in Sekundenschnelle wissen, was auf der Welt passiert, aber sie erzählen nur eine gefilterte Version dessen was geschieht. Die Medien haben das öffentliche Bild des Balkans und dessen Menschen in den frühen 2000er Jahren negativ beeinflusst und nachhaltig geprägt haben. Der schlechte Ruf hat sich heute deutlich gebessert, jedoch hinterlässt dieser bei vielen noch immer einen schalen Nachgeschmack. Ich möchte in Erinnerung rufen, dass es damals in den Schlagzeilen oft hiess die „Jugos“ seien Raser – Begriffe wie Zwangsheirat und Blutrache waren in diesem Zusammenhang auch keine Seltenheit.
Nun jedoch zurück zum eigentlichen Thema: Als es hiess, dass wir eine Auslandsseminarwoche im Rahmen des Studiums absolvieren und der Balkan als mögliches Reiseziel in Frage kam, war für mich von Anfang an klar, wohin mich meine nächste (Abenteuer-)Reise verschlagen würde. Ich bin offen, probiere gern Neues, interessiere mich für Kultur und insbesondere das einheimische Essen, Museen, spektakuläre Naturschauplätze und vieles mehr. Es reizte mich, den „wahren“ Balkan kennenzulernen und die #unfilteredEdition zu erleben. Auf welche ich auch treffen sollte.
Unsere Route durch den Balkan
Wir kamen im Balkan, genauer gesagt in Sarajevo, an. Ohne etwas schön zu reden. Die blanke Wahrheit vor unseren Augen. Die Hauptstadt war für mich das Eindrücklichste, vielleicht auch das Schockierendste, auf der ganzen Reise. Es ist das eine Kriegsbilder im Fernsehen zu sehen (heute werden die Nachrichten davon ja überschwemmt), aber etwas ganz anderes die Spuren – auch 20 Jahre nach Kriegsende – mit eigenen Augen zu sehen. Wo man auch hinsah – es gab nicht ein Gebäude, das nicht vom Krieg gezeichnet war. Überall sah man Einschusslöcher von Maschinengewehren oder Beschädigungen an den Gebäuden von den vielen Bombenniederschlägen. Unser Stadtführer erzählte uns, dass Sarajevo vier Jahre von den Serben besetzt wurde, was als längste Besetzung in die Geschichte einging und über 60 Prozent der Stadt dem Erdboden gleich gemacht wurde. Der geheime Tunnel, welcher die Versorgung während des Krieges gewährleistete, war ebenso eindrücklich. Viele flüchteten während des Krieges. Alle drei unserer jungen Guides in Bosnien Herzegowina, Mittzwanziger oder etwas darüber, waren während des Krieges nach Deutschland oder in die Schweiz geflüchtet. Sie lebten drei bis sechs Jahre im Ausland und sind nach dem Krieg wieder nach Bosnien zurückgekehrt. Nach dem Krieg war das Land wirtschaftlich am Boden, was bis heute seine Auswirkungen zeigt. Das Land ist eines der ärmsten in ganz Europa, das durchschnittliche Monatseinkommen beträgt offiziell 450 Euro – inoffiziell ist dieses jedoch einiges tiefer bei rund 250-300 Euro. Die Arbeitslosigkeit ist hoch und beträgt über Jahre hinweg rund 45 (!) Prozent. Trotz dieser erschreckenden Probleme und Herausforderungen sind die Menschen, vor allem in Bosnien Herzegowina, sehr freundlich, zuvorkommend und friedlich.
Nach dem Aufenthalt in Sarajevo, welcher mir wirklich unter die Haut ging, der Geschichte zum Krieg und den Ausführungen zur Wirtschaft, ging’s weiter in den herzegowinsichen Teil. Man tut gut daran den heimischen Wein zu probieren auf welchen die Leute sehr stolz sind. Die Herzewoginer haben neben den gängigen Traubensorten auch viele eigene. Sobald man die Grenze von Bosnien Herzegowina nach Kroatien überquert, merkt man zugleich den Wohlstandsunterschied, welcher teilweise sicher auf die Unterstützung der EU zurückzuführen ist. Die Häuser sind in deutlich besserem Zustand, die Autos neu und die Gegend im Allgemeinen touristischer. Der Monatslohn ist mit 1100 Euro bedeutend höher und auch die Arbeitslosenquote mit 15-20 Prozent, je nach Jahreszeit, deutlich tiefer. Die Spuren des Kriegs sind hier kaum mehr zu sehen, obwohl dieser auch hier heftig gewütet hatte. Dubrovnik hat eine sehr schöne Altstadt und die Mauer Drumherum lohnt es sich auf jeden Fall zu erkunden, jedoch sollte man sich fernhalten, wenn die grossen Kreuzfahrtschiffe einlaufen. Die Stadt ist dann berstend voll – ein Nachteil des Massentourismus, der in Dubrovnik sicherlich angekommen ist. Das gleiche gilt für die Hafenstadt Kotor in Montenegro. Das Land blieb vom Krieg verschont, löste sich im 2006 aber mehr oder weniger friedlich von Serbien ab. Der Lohn ist mit 600 Euro zwischen dem von Bosnien Herzegowina und Kroatien, die Arbeitslosenquote beträgt wie in Kroatien rund 15 Prozent. Speziell am Städtchen Kotor ist, dass man in rund einer Stunde auf dem Berg ist – was in unserem Fall dazu führte, dass wir im tiefsten Winter und einem grossen Schneesturm gelandet sind. Das Essen im Balkan ist im Allgemeinen sehr deftig und beinhaltet viel Fleisch und Beilagen, auf Gemüse wird grundsätzlich verzichtet – unsere Vegetarier hatten daher eine recht schwierige Zeit.
Touristisch interessante Fakten und Zahlen Nach dem kleinen Einblick in unsere Reise, kann sich der eine oder andere vorstellen, dass der Tourismus in Kroatien, Montenegro und Bosnien Herzegowina zu einem wichtigen Standbein herangewachsen ist, das die Wirtschaft nach und nach wieder in Schwung bringt (vgl. Tabelle).
Kroatien erkannte die Bedeutung des Tourismus früh und pushte diesen bereits nach dem zweiten Weltkrieg. Der Balkankonflikt verpasste diesem zwar einen herben Rückschlag, jedoch ist Kroatien heute eines der erfolgreichsten Balkanländer im Bereich Tourismus. Kroatien hat schon vor Jahren damit begonnen den deutschen Markt zu bearbeiten, daher ist es nicht erstaunlich, dass das Land bei den Deutschen sehr beliebt ist. Bosnien Herzegowina und Montenegro hingegen sind heute in Westeuropa als Feriendestinationen noch wenig bekannt. Sie sind aber, wie die Entwicklung der letzten Jahre aufzeigt, auf bestem Weg als beliebte Badeorte, aber auch Wander- und Naturparadiese populär zu werden. Die Grafik veranschaulicht die Zahlen aus der Tabelle.
Die Negativen Aspekte des Tourismus Bisher wurde nur auf die positiven Aspekte des Tourismus eingegangen. Natürlich birgt dieser auch Schattenseiten, welche uns bei unserem Fachvortrag an der Universität von Dubrovnik klar vor Augen geführt wurden. Die Dozenten erwähnten fortwährend die Wichtigkeit des Tourismus, dass dieser ein zentrales Element der kroatischen Wirtschaft darstelle. Als kritische Zuhörer und angehende Touristiker fragten wir uns natürlich, was neben des Tourismus noch vorhanden sei und was für Konsequenzen ein Zusammenbruch dessen für Dubrovnik bedeuten würde. Die Professoren waren sich, unisono, einig: „Es gibt keinen Plan B. Der Tourismus muss funktionieren, denn wir sind gänzlich von ihm abhängig. Wir stehen und fallen mit ihm.“ Ehrliche Worte zu einer unbequemen Wahrheit. Der Tourismus und das schnelle Wachstum dessen ist ein Segen – bis zu dem Tag, an dem etwas Unvorhersehbares geschieht und den Tourismus ins Stocken, Schwanken oder gar Stürzen bringt. Denn dann, würde er zum Fluch, welcher das Land in eine erneute Krise stürzen würde.
Ich bin der Überzeugung, dass die Balkanländer Potenzial haben und in den nächsten Jahren grossen Aufschwung erhalten werden. Auch würde ich jedem empfehlen mindestens eines dieser Länder zu besuchen. Ich hoffe jedoch, dass wenn der Massentourismus in diese Orte eingekehrt, die Leute nicht nur noch das grosse Geld wittern, sondern ihre Herzlichkeit, Freude und positive Haltung beibehalten – der eigentliche Grund, neben der wunderschönen Landschaft, warum man in den Balkan reisen sollte.
Quelle: http://tourismus-partei.ch/blog/unfiltered-eine-reise-durch-den-balkan-2/