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Ilulssiat

Kalaallit Nunaat


Während ich gestern noch den Blog auf Vordermann gebracht habe, höre ich die Hunde draussen vor dem Fenster in die Luft jaulen. Das ist unüblich um die Zeit, denn es ist schon lange dunkel und Vollmond ist auch nicht. Was also hat die Tiere so aufgewühlt? Ich gehe zum Fenster, öffne es und erschrecke mich so dermassen, dass ich mir den Kopf gegen den Rahmen knalle. Über der Siedlung hat sich ein wunderbares Nordlicht gebildet. Was habe ich davon geträumt, das hier fest zu halten. Während ich in der Wärme sitze, Morten ging schon längst zu Bett, schiesse ich Foto um Foto. Dann setze ich mich hin und öffne ein Bier, lasse Musik spielen.

Etwas übermüdet und viel zu spät bin ich dann erwacht. Die Borialis hat mich noch lange wach gehalten. Also packte ich schnell meine Sachen und machte mich auf den Weg. Ich hab gestern Morten eine Wanderkarte ausgeliehen und werde heute etwas der Küste entlang, bis zum Glätscher wandern. Nach dem Red Bull fühle ich mich so aktiv, dass ich von Stein zu Stein springe, Berg auf und Berg ab. Ich versuche nicht in die Erde zu treten. Erst dieses Jahr ist der Permafrost hier aufgetaut. Das sieht man am Besten an den eingesunkenen Strassen, denen quasi das Fundament weggeschwommen ist. Auch einige Häuser sind abgerutscht oder drohen zumindest. In meinem Fall würde mein Fussabdruck weiss nicht wie lange brauchen, bis er regeneriert ist und mit einem falschen Schritt, könnte ich ganze Pflanzenkulturen zerstören. Also Vorsicht ist angesagt. Aber ich bin so gepusht, die Knie halten gut, dass ich die Strecke, für die ich optimistisch 2 Stunden budgetierte in 45 Minuten zurücklege.

Grönland wurde von Eric dem Roten als Grüne Insel entdeckt, woher sie heute ihren Namen trägt. Kalaallit Nunaat auf Grönländisch. Ich finde er hätte mal genauer hinsehen sollen. Dann hätte er sich wohl für Bunte oder gut riechende Insel entschieden. Von überall duftet es herrlichst nach Kräutern und ich finde reife Blaubeeren, die ich mir für einen Snack aufspare. Weiter finde ich würzigen Grönlandtee und allgemein kann man so ziemlich alles essen, was da wächst. Morten hat mir gestern noch viel in seinem Buch gezeigt und heute habe ich die Pflanzenwelt Grönlands vor mir.

Neben mir Ruinen von der ersten Kultur die vor Tausend von Jahren hier lebte. Unter mir kalbt der Gletscher, weiter vorne brechen Stücke ab und verursachen grosse Wellen. Ich sitze auf der Bank mit der wohl besten Aussicht der Welt und erfreue mich meinem letzten Heineken. Wieder weile ich Stundenlang auf einem Fleck, esse Blaubeeren und andere Blümchen, die ich gefunden habe und höre Musik. Doch nichts ist für immer, so muss ich langsam aber sicher zurück und mich von Morten verabschieden und mich um meine neue Unterkunft kümmern.

Ein weiser Raphael Steckelsen aus Stockholm hat mir in Honduras mal gesagt, dass man immer die Menschen anzieht, die man gerade braucht. Selten hat das so gepasst wie heute. Der Skipper, von dem ich euch gestern erzählt hatte, konnte mich heute doch nicht unterbringen, weil er spontan in eine andere Stadt musste. Er brachte mich zu Silver, bürgerlich Salvatore. Italiener, ein bisschen eine Mischung aus Super Mario und Homer Simpson. Aber ein gewiefter Geschäftsmann und Besitzer von Ilulssiat-Travel.

Bei ihm sitzen wir daheim am Tisch, essen italienische Pasta und ich erzähle etwas dick aufgetragen von meinen Reisen. Plötzlich knallt er beide Fäuste auf den Tisch und beginnt zu sprechen. "Luca, we've got a camp about 60km north of Ilulssiat. There we bring the tourists out into the nature. They can fish, rent kayaks, do hiking and so on. My Son is up there and some other People aswell. We open from beginning of June and stay open till September. I pay you all the flights, all the food and accomedation and 2500 Euros a Month if you help to keep that thing running. I need somebody like you. If you do a good job, i can offer you something permanent. With much better money."

Ich verschlucke mich fast, als ich das höre. Heimlich habe ich schon immer mit dem Gedanken gespielt für ne Weile im Norden zu leben. Jetzt habe ich Super Mario neben mir sitzen, der mir so ein unwiderstehliches Angebot macht und ich bin baff. Natürlich könnte ich alles sausen lassen, nicht Tourismus studieren, Jenny verlassen und dann diesen Job annehmen. Aber das werde ich in Gottes Namen NICHT tun!

Was nun? Was mit dem Traumangebot anfangen? Ich erzähle ihm nicht, dass es für mich nicht passt. Das werde ich später tun und sage ihm jetzt, dass ich abklären werde und bis Ende März bescheid gebe. Das ist gut so für ihn. Ich denke nämlich weiter. Im Zweiten Jahr meiner Ausbildung würde ich ein Praktikum machen müssen. Wenn ich ihn warmhalten kann (lustiger Ausdruck hier in der Kälte), könnte ich in einem Jahr zur Stelle antreten und sie als Praktikum gelten lassen. Das währe gut bezahlt und genau dass, was ich wohl sowieso suchen würde. Die Zeit bis Ende März nutze ich um eine persönliche Bindung aufzubauen, um mir die Stelle und den geselligen Mensch Silver in meinem Leben zu behalten.

Wir trinken Cappuccino und gucken Fussball. Ja, phoah. Krass neh?

Und wieder einmal überrennt mich der Norden.

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