When the Ice melts
Nun sitze ich also hier. Die Sonne geht langsam unter und färbt die schwimmenden Eisberge in tiefstem Rot. Alles ist so klar, so pur, so strahlend und so riesig. Um mich herum geht ein leichter Wind, dessen bittere Kälte ich im Gesicht spüre. Die Hunde heissen die Nacht willkommen und von überall her kommt lautes Heulen. Viel Wolf steckt noch in ihm, dem Grönlandhund. Ich sitze auf einem Stein an der Küste. Ab und an dreh ich mich um, spüre einen Blick im Rücken und entdecke, wie ein stolzer Hund mich mit seinen leuchtenden Augen anstarrt. Morten meint, ich solle einfach mich selber sein. Angst haben, wenn nötig. Der Instinkt der Hunde wird schon spüren, ob ich eine Gefahr bin oder nicht. Ich spüre die Aura der Tiere, die mich beobachten, wie ein Geist im Nacken und ich fühle mich wohl. Der Skipper des Schiffes holt noch mal aus und gibt volle Kraft voraus. Doch wir kommen nicht durch. Das Eis ist zu dick und wir haben zu lange geschwatzt und es unterschätzt - prommt hat es uns gepackt. Wir pickeln uns frei. Dabei kommen wir den grossen Riesen so nahe, dass wir sie anfassen können. Von so etwas habe ich immer geträumt. Einmal in einem Meer aus Eisbergen zu schwimmen. Um uns herum erheben sich die Massen von Eis und gepresstem Schnee, die vom nahe liegenden Gletscher gekalbt und bis hier her, in die Disko Bucht getrieben sind. Wie gefährlich es sein kann, so nahe heran zugehen, zeigte mir Morten gestern in einem Video, das genau an dieser Stelle aufgenommen wurde. Ab und an hört man ein Knacken, bald wird ein Teil des Berges abrutschen. Man sieht eine kleine Linie auf Wasserhöhe. Dort hat das zu warme Wasser sich bereits reingefressen und den Berg unterhöhlt. Bald wird er runter kommen und eine Gefahr für alle Fischer. Durch das viele Schmelzen ist die Oberfläche des Meeres nicht mehr Salzig. Reines Süsswasser verdrängt viele Lebewesen in die Tiefe und lässt einige sogar sterben. Nirgends auf der Welt ist einem der Wandel so klar wie hier. Im Sommer zeige das Thermometer manchmal 56 Grad an, weil die UV-Strahlung der Sonne das Quecksilber so aufheizt. Mikrowelle auf Erden. Auch wenn es draussen kalt ist, das Ozon-Loch bringt das Eis zum schmelzen. Für viele Menschen ist das ein schrecklicher Gedanke. Mia meinte gestern, erste Keime wachsen gesehen zu haben. Viel zu früh. Sie sollte noch viel ausliefern mit ihrem Hundeschlitten. Doch da ist kein Schnee und andere Wege gibt es nicht zu den Familien ausserhalb zu gelangen. Eine Katastrophe. Auch für die Hunde, die so unbeschäftigt bleiben und nervös werden. Morten hat nichts geschossen. Entäuscht stellt er die Shotgun zurück in den Schrank, holt sich etwas Narrwal-Haut aus dem Kühlschrank und gemeinsam kauen wir daran. Gerne hätte Morten noch etwas Geflügel gehabt, bevor er wegen der Arbeit in den Norden fliegt, so kauen wir auf dem Einhorn. Ich selbst habe mich nach einer Neuen Unterkunft umgesehen und komme beim Skipper zuhause unter. Er hat verstanden, dass ich kein Geld habe, um mir ein Hotel zu leisten. Er hat verstanden, dass mein Herz für den Ort schlägt. Er hat verstanden, dass ich ihm unendlich Dankbar bin. Ich habe hier in Ilulssiat ein Paradies auf Erden gefunden. Extrem, pur, direkt und Menschlich, kalt, warm, wild, schön. Für den Norden bin ich geboren. Das ist mir heute, an einem der schönsten Tage meines Lebens mal wieder klar geworden.