Höhenkrankheit
Es ist morgen und Nandah ist noch immer nicht zurück. Wir wissen jetzt auch warum. Wenn man schläft, kann es passieren, dass der Körper aus Gewohnheit die Atmung verlangsamt. Das lässt einem unruhig oder gar nicht schlafen. Wenn man nicht genügend aklimatisiert ist, kann das auf dieser Höhe kann fatale Folgen haben, weil der Körper nicht mehr genügend Sauerstoff erhält, was wiederum die Durchblutung hindert. Das kann bis zum Tod führen.
Ich will ja nicht behaupten, ich hätte sie nicht gewarnt.
Nandah hatte in der Nacht seine Finger nicht mehr gespürt und später seine Zehen. Das sind erste Erscheinungen von Höhenkrankheit! Jack reagierte glücklicherweise sofort und brachte ihn mitten in der Nacht in ein 1000 Meter tiefer gelegenes Dorf. Kaum war er unten, ging es ihm entsprechend besser, denn oftmals ist es nur eine Frage von ein paar Metern. Wir sind froh, ist nichts schlimmeres passiert. Zusammenscheissen werde ich ihn aber trotzdem ;-).
Als wir diesen Morgen aus dem Zelt traten, waren wir da. Angekommen. Am Ziel … Nur noch wenig war zwischen dem höchsten Berg der Welt. Die letzten Tage habe ich eine Affinität gegen einige Menschen entwickelt. Deswegen will ich mich heute über sie hinweg setzen. Gleich packte mich der Ehrgeiz und ich wollte noch näher ran. Run Boy Run. Weiter wie alle anderen. Der Berg hing im Nebel. Lukas und ich liefen einfach weg – auf den Berg zu. Wir wollten es versuchen. Ein Stück höher wie alle anderen sein.
Wir schleppen uns den Schotterpfad entlang, den auch die Bergsteiger nehmen, wenn sie ins 2. Basecamp wollen. Durch diese Steinwüste, durch das Tal, immer etwas höher, schlängeln sich die Serpentinen. Wir sind inzwischen auf weit über 5000 Meter und es fehlt uns an Atem. Alle 50 Meter müssen wir Pause machen und ausschnaufen, als wären wir Kilometer weit gelaufen. Doch das hält uns nicht ab. Bis wir ankamen, an der Stelle, wo niemand mehr war. Es fühlte sich wunderschön an. Damit sich der Berg an uns erinnert, bauen wir eine kleine Stupa aus Stein und dekorieren es mit unseren Malas, den TIbetischen Gebetsketten, aus Respekt vor Geist und Natur und bedanken uns, hier sein zu dürfen. Ein sehr spiritueller Moment und die beste Zigarette in meinem Leben.
Auf dem Weg zurück besuchen wir das Rombuk Kloster. Das kenne ich von Bildern, die bei der Recherche immer hervorkamen. Es handelt sich dabei um das höchste (bekannte) Tibetische Kloster der Welt. So hoch und gechützt gelegen, dass es der Zerstörung entging. Hier tummeln sich einige Mönche, Weisenkinder, Ziegen und tausende Krähen, die dem Ort ein mystisches Flair geben.
Wie heftig und gewaltig hier alles ist, merken wir beim passieren des Friendship-Highways, der Verbindungsstrasse zwischen Tibet und Nepal. Genau bei einem Dorf, dass soviel heisst wie: «In die Hölle» gehts dann auch los. Der Nebel lässt einen nichts sehen. Ein Fehler unseres Drivers und wir fliegen 300 Meter ungebremst in die Tiefe. Alle Fünf Minuten passiert etwas, entweder fahren wir unter einem Wasserfall durch oder die Hälfte der Strasse fehlt. Plötzlich ging hinter uns eine Erdrutsch runter … .
Während einer Pinkelpause kam ich mit einem Jungen Tibeter ins Gespräch. Er sprach kaum Englisch und ich verstand nur das Wort «Refugee». Ich erinnere mich, dass ich ja noch die Karte besass, welche ich beim Namtso Lake gefunden hatte. Ich musste nicht lange überlegen und steckte sie ihm zu. Er warf einen kurzen Blick auf die Karte und mir dann einen selbigen leeren zu. Er steckte sie ein, als hätte Frodo gerade den Ring gefunden und rannte weg.
Gegen Abend erreichten wir unser Tagesziel, nahe der Nepalesischen Grenze. Mir passt das ganz gut. Lange war ich jetzt in China und habe vieles gesehen und erlebt. Doch jetzt ist gut. Am Abend gibts noch ein letztes Lhasa Bier und das in Xigazê gekaufte Feuerwerk wird gezündet. Ich war ja überhaupt nicht dafür in einer Stadt, die an einen Instabilen Hang gebaut ist, Feuerwerk zu zünden, lise mich dann vom Spass mehr wie nur anstecken.