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Trans-Mongolian Railway Tag 1

In die Freiheit …


Menschenskinder, was habe ich den Abend gestern genossen. Das urbane Leben hatte uns für einen kurzen Moment wieder. Die Konzert-Besuche und das Eintauchen in die lokale Musikszene. Dinge die daheim mein Leben darstellen und ausmachen, die ich hier aber kaum suche. Es grenzt beinahe an Selbstkasteiung und ich weiss nicht warum ich das, was ich daheim am meisten liebe, hier nicht öfters suche. Ich will wieder durch Plattenläden stöbern und mit Freaks abhängen.

Ja, das hat mir Beijing ganz klar gezeigt – Beijing ist crazy! Erstens kaufen sie meine Emma und zweitens gibt es hier Kunst und moderne Kultur jeglicher Art, was sicher dazu beiträgt, das viele hippe Chinesen und Ausländer in den Hutongs hängenbleiben.

Heute ist ein grosser Tag. Wir besteigen den Zug und fahren auf die ­andere Seite der grossen Mauer. Unser Geld haben wir mit Moneytransfer auf Emmas Konto einbezahlt. Wir haben mit unserer Idee mal locker 17 000 Renminbi Yuan gemacht. Das ist der absolute Wahnsinn und einfach nur krass. Damit finanziert sich Emma einen neuen Heimflug und wir eröffnen eine gemeinsame Reisekasse für die Mongolei. Ich bin echt froh, diesen Menschen dabei zu haben. Obwohl kein Rebell, inspirieren wir uns gegenseitig und haben rege Freude an diesem sozialen Experiment, wie wir es gerne nennen. Zwei Menschen, die sich nicht kennen, treffen sich für eine Reise – schaffen es sich gegenseitig alle Bedürfnisse zu erfüllen und plötzlich sitzen sie im Zug in die Mongolei.

Total übernächtigt liegen wir auf unseren Hardsleepern und geniessen den Blick aus dem Fenster. Aus den Boxen dröhnen Fleet Foxes und Beta Band. Vorbei an Bergen und Reis-Terrassen, Steinbrüchen und Maisfeldern geht es raus aus dem Kommunismus, in ein Land voller eindrücklicher Geschichte. Das Land der Nomadenvölker, vereint durch den cleversten, den berühmten Dschingis Khan – ein Land, in dem viele Menschen heute noch so leben wie damals. Der Vergleich einer geführten Tour von 100 Dollar pro Tag und dem durchschnittlichen Einkommen von 200 Dollar im Monat, ist ein gutes Beispiel für die Verhältnisse. Wir haben viel gehört, nun schauen wir es uns selbst an. Die Mongolei. Gegen Mitternacht werden wir die Grenze erreicht haben. Wir können es kaum erwarten.

Es ist kaum vorzustellen, dass dieser Zug bis nach Moskau durchfährt. Der Trans-Mongolian Railway. Eisenbahngeschichte auf einer der schönsten Strecken unseres Planeten – und wir mittendrin. Was für eine Befriedigung. Ich freue mich riesig auf die weite Steppe, kühlere Temperaturen und viel Natur, in der Hoffnung dadurch meine Kreativität und Passion zurückzuerhalten, die mir durch die Warterei in China genommen wurde. Ich schliesse die Augen und erfasse den rötlichen Sonnenuntergang mit vollem Herzen, bis der Bauch zu kribbeln beginnt. Zum ersten Mal seit langem.

Wir sind allein im Abteil. Niemand wird kommen, denn wir werden nicht mehr anhalten. Wir machen uns breit und entledigen uns unseren Kleidern. Jetzt einfach nur nackt sein. Wir fühlen uns unglaublich frei, als der Zug durch die Wüste fährt. Es vergehen einige Stunden in denen wir nichts tun. Nur aus dem Fenster schauen und uns riechen. Danach können wir es nicht lassen, öffnen das Fenster und während unsere nackten Körper sich im Licht orange färben, geniessen wir die Vorfreude, auf das was kommt. Weil wir nie mehr hier sind und weil wir nie mehr so jung sein werden. Wir sind nicht schön, brauchen wir auch nicht zu sein. Wir sind einfach nur frei.

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