Get down, Hutong, we’ve got the VISA!
Emma ist, im Gegensatz zu mir, keine Langschläferin. Wenn sich meine Augen morgens zum ersten Mal öffnen, und ich den Blick im Schlafsaal kreisen lasse, ist da meistens weit und breit keine Spur von ihr. Meistens liegt sie dann irgendwo im Aufenthaltsraum oder draussen und schmökert in «A Thousand Splendid Suns» von Khaled Hosseini. Ich bin überrascht, wie leicht sie all dieses Warten nimmt und erst recht heute, wo wir unsere Tickets nach Ulan Bator holen müssen, ohne zu wissen, ob wir überhaupt ein Visa erhalten. Dieses könnte nämlich immer noch abgelehnt werden. Der Ticketschalter ist nur morgens geöffnet und das Visa erhalten wir, wenn überhaupt, nachmittags um vier. Wir müssen also ein Risiko eingehen.
Dann geschieht etwas Unvorhersehbares. Haben wir doch überall gelesen, dass die Züge in die Mongolei nur dienstags und donnerstags Beijing verlassen, erfahren wir am Schalter überraschenderweise, dass bereits am Mittwoch einer fährt, dafür donnerstags keiner. Heute ist Dienstag. Huch, das ist ja schon morgen früh. :D Was wenn wir das Visa nicht erhalten? Dann dürfen wir eine ganze Woche warten, bis am Montag wieder ein Zug fährt und hätten erst noch das Geld für die Fahrkarte in den Sand gesetzt. Gerne erinnere ich an meine unendliche Liebe zur chinesischen Bürokratie und ich spüre, wie sich es in mir zu brodeln beginnt. Schlussendlich klappt dann aber alles reibungslos. Zugfahrkarten: Done! Emma und ich hüpfen auf und ab vor Freude, sichtlich zum Erstaunen aller Zuschauer.
Über den Mittag versuchen wir unser Glück auf dem Tiananmen Square. Schon bevor wir unser Schild auspacken, sind die Menschen fleissig dabei, im Geheimen Bilder von uns zu machen. Das ist, glaube ich, der erfolgreichste Tag bisher. Ganze Schulklassen stellen sich an und wollen ein Foto. Als dann plötzlich die Security vor uns steht, fällt uns zum ersten Mal wirklich das Herz in die Hose. Was werden die wohl sagen? Alles kann passieren. Von Festnahme bis Landesverweis … Aber nein, sie wollen nur ein Foto und bezahlen brav dafür. Es wird immer krasser.
Dann gehts zurück zur Botschaft. Wir treffen in der Warteschlange auch Mara wieder an, die uns gestern so lieb geholfen hat. Ihr Freund ist Mongole und arbeitet in einer Kunst-Bar. Wir lassen uns diese Chance nicht entgehen und gehen gleich nach dem Packen unserer Sachen ins alte Beijing – den Hutongs. Das Visa haben wir in der Tasche, zudem machen wir mit unserer Idee richtig viel Kohle … Es ist nochmal Zeit Beijing zu feiern.
Das ist echt mal ein Bijou, eine Hippie-Oase und Ausgehmeile in einem. Kleine, traditionelle Restaurants wechseln sich ab mit heimeligen Bars, die mehr einem Wohnzimmer eines Studenten ähneln und viele Künstler und Gestrandete anzieht. Ein herrlich kreatives Fleckchen urbanen Stadtlebens, das wir seit Hongkong nicht mehr angetroffen haben.
Mara geniesst es sichtlich, mal wieder schweizerdeutsch sprechen zu können. Seit zwei Jahren lebt sie nun im Ausland und hat nicht viele Schweizer getroffen in der Zeit. Als dann Benj, ihr mongolischer Freund anfängt schweizerdeutsche Worte aufzusagen, kann ich mich kaum noch halten. Worte wie: «Herzchäferli» oder mein All-Time-Favourite «es bitzeli» mit mongolischem Akzent. Ich schlage Rückwärtssaltos vor Lachen. Es ist ein herrlicher Abend mit vielen traditionellen, mongolischen und tibetischen Glückswässerchen. Wir vergessen alle die Zeit und als Mara dann erschreckt feststellt, dass sie bereits in einer Stunde in der Schule stehen muss, beschliessen auch wir, doch langsam aufzubrechen, da unser Zug auch schon in zwei Stunden fährt. Mal kurz die Nacht durchgemacht! *^^*