Tashi Delek: meine Tibet-Reise
Die Zeit ist reif. Die Operation Rückenwind bewegt sich geradewegs auf ihr bisheriges Highlight zu. Es war meine Grossmutter, die mir als kleines Kind sagte, dass man nach China fliegt, bis man ein alter Mann sei. Hätte sie gewusst, was sie damit bei mir auslösen würde, hätte sie es gesagt?
Als ich damals von meinem ersten Arbeitstag nach Hause kam, war ich deprimiert. Kaum Fenster im Raum, alles in tristem Grau, Redeverbot und eine Stimmung wie auf einem Friedhof. Und das in einem kreativen Beruf wie Polygraf. Bereits am ersten Tag konnte ich mir keinen zweiten vorstellen. Mein Vater machte es nicht besser, in dem er sagte: «Tja, Lukas, das ist das Leben. Viel Spass die nächsten 60 Jahre.»
Von da an entwickelte sich dieses Unverständnis gegenüber der Gesellschaft. «So kann ich doch nicht leben!» dachte ich. Doch ich war zu schwach und mein Horizont zu klein um was zu ändern und ich unterdrückte meine Gefühle über Jahre hinweg, zog die Ausbildung durch und arbeitete danach im Beruf – so wie es eben alle tun. Aber ich war stets unglücklich.
Dann kam eine Frau in mein Leben, die sich darin vier Jahre halten sollte. Wir dachten sogar ans Heiraten, obwohl wir zu dem Zeitpunkt über ein Jahr keinen Sex hatten. Uns kam gar nicht in den Sinn zu denken, dass in unserer Beziehung nichts stimmte. Wir akzeptierten es und dachten, besser wird es eh nicht. Das Leben ist nicht da um 100 % zu erreichen. Mein Vater pflegte zu sagen, dass wenn du zu 30 % zufrieden bist, dann ist das viel.
Doch da war ein Wunsch, der alles verändern sollte. Schon als Kind fühlte ich mich sehr mit dem Schicksal der Tibeter verbunden, die in den 60ern von Rot-China angegriffen wurden. Damals öffnete die Schweiz als eines der ersten Ländern die Grenzen. Nach der Lektüre «Sieben Jahre in Tibet» hatte ich immer den versteckten Traum, mit einem Eselkarren von Beijing nach Lhasa zu fahren, um den Dalai Lama zu besuchen. Doch Träume wurden in meinem Umfeld nicht akzeptiert. Ich verfolgte das Geschehen und fing an, über die Jahre mich an Protesten zu beteiligen. Natürlich ohne das Wissen von irgendjemandem. Es hätte ja die nicht existierende Harmonie zerstören können. «So was macht man eben nicht!»
Bevor ich ans Heiraten denken konnte, wollte ich zusammen mit meiner Freundin aufs Plateau reisen. Als ich es ihr vorschlug, wurde mir endlich bewusst, endlich klar, wie unglaublich dumm diese Beziehung war und dass sie und das Leben, das wir führten, nirgends, aber auch gar nirgends hinführte. «Lukas, meinst du wirklich ich will mitkommen? Unser Leben ist hier. Warum weggehen? Eher kaufe ich mir eine Katze!» Das sollte sie dann auch tun. Die Katze als Symbol der Permanenz. Des Niederlassens und eine verpasste Chance unser gemeinsames Leben zu testen. Ich jedoch akzeptierte zum ersten Mal in unserer Beziehung etwas nicht und teilte ihr mit, dass ich alleine gehen werde. Drei Monate, dann würde ich zurück sein und wir können heiraten. «Wenn du das machst, dann brauchst du nicht wiederzukommen!» Ich fragte sie, warum sie so was sage und sie meinte in vollem Ernst: «Du willst doch eh nur rumvögeln.»
In diesem Moment wurde mir endlich klar, wie es um uns stand. Wir lebten in einer Seifenblase, in der wir nicht mal unsere Träume unterstützen konnten. Alles drehte sich um den kleinen Mikrokosmos und alle meine Freunde, die sie nicht mochte, waren eine Gefahr für die, wie schon erwähnt, nicht existierende Harmonie. Was bin ich blind gewesen. Was war ich hoffnungslos blind. Jeden Tag dieser Beziehung und jeden Schritt den wir taten, machten wir aus purer Langeweile und Gewohnheit. An diesem Tag wurde mir das alles bewusst. Ich gab ihr die Möglichkeit ihre Meinung zu ändern, bis einen Tag vor Abreise. Doch sie blieb hart. Möge sie irgendwann erwachen werden.
Das Nächste, an was ich mich erinnere, ist, wie ich neben Benj im Flieger nach Melbourne und nicht nach Beijing sass, und mir klar wurde, dass mein Leben nie mehr so sein würde, wie es war. Und es sollte NUR besser werden.
Klar, ich nahm den Umweg über Australien. Denn ich hatte ja Zeit. Ich entschied mich bewusst dafür, Zeit zu haben. Denn diese Beziehung und die zehn Jahre perspektivenlosen Lebens haben ihre Spuren hinterlassen.
Doch das Ziel meiner Reise ist noch immer Tibet.
Dieses ferne Land strahlt einen unbeschreibbaren Reiz aus. Etwas realistischer betrachtet, lasse ich den Eselkarren stehen und nehme gerne den Zug. Mir ist klar, dass Tibet seit der chinesischen Invasion 1949 nicht mehr das Gleiche ist und dort mehr als nur ein geistiger Völkermord wütet. Vielleicht ist es aber auch genau das, was mich bewegt beide Seiten zu sehen. Wenn ich protestiere, dann will ich beide Seiten kennen, damit ich mir sicher sein kann, auf der richtigen Seite zu stehen. Zudem habe ich mich immer dafür eingesetzt, mit der Hilfe des Internets, nach Kontakten von Exiltibetern zu suchen, meist älteren Menschen, die nach ihren Verwandten suchen, die damals nicht fliehen konnten.
Das ist das Ziel der nächsten Monate, wenn nicht meiner ganzen Reise.
Dementsprechend sieht auch die Reiseroute aus, die wegen der politischen Gegebenheit genau geplant werden muss. Es geht in die grossen, historisch belangenden Klöster, über Land zum Mount Kailash Kora, dem heiligen Berg der Hindus und Buddhisten. Weiter in eine der abgelegensten Gegenden der Welt, dem vergessenen Gu Ge-Königkreich nahe der Grenze zu Ladakh. Zurück zum Mount Everest und ins Basecamp. Als Abschluss gehts auf dem Friendship Highway in die nepalesische Hauptstadt Kathmandu. Die Tour muss obligatorisch vorgebucht werden. Ich habe bereits mein Okay gegeben. Es werden nur Emma, Ohlin, unser Guide und ich an Bord sein. Intensiv, persönlich und gefährlich, wegen dem vielen anti-chinesischen und anti-kommunistischen Gedankengut, dass ich in mir trage.
Auszug aus der Offerte der Agentur mit Sitz in Chengdu.
Date Day Itinerary
10.6. Day 01 Train from Chengdu 20:59
11.6. Day 02 Riding the worlds highest railway
12.6. Day 03 Arrive in Lhasa at 16:00
13.6. Day 04 Lhasa: free day for rest/acclimatisation
14.6. Day 05 Lhasa: visit Potala Palace, Jokhang and Barkhor
15.6. Day 06 Lhasa: visit Drepung, Sera Monasteries and Norbulingka
16.6. Day 07 Kayaking (Brahmaputra?)
17.6. Day 08 Lhasa – Gyangzê: 260 km, about 6 h via Yamdrok Lake and Karo La Pass (5010 m)
18.6. Day 09 Gyangzê – Xigazê: 90 km, about 3 h scenic drive
19.6. Day 10 Xigazê – Sang Sang Lu: 264 km, about 7 h scenic drive
20.6. Day 11 Sang Sang Lu – Saga: 180 km, about 5 h scenic drive
21.6. Day 12 Saga – Paryang: 250 km, about 6–7 h scenic drive
22.6. Day 13 Paryang – Manasarovar Lake: 270 km, about 6–7 h drive
23.6. Day 14 Manasarovar Lake – Darchen (4670 m): short drive & rest day
24.6. Day 15 Mount Kailash Kora: Darchen – Drira Phuk (4800 m): 6 h trek
25.6. Day 16 Mount Kailash Kora: Drira Phuk – Dzutrul Phuk: 5–6 h trek
26.6. Day 17 Mount Kailash Kora: Dzutrul Phuk – Darchen: 3–4 h trek
27.6. Day 18 Thatapori – Tsaparang: 250 km, 6–7 h drive with view to Indian border of Ladakh
28.6. Day 19 Finally arrive at remote Gu Ge Kingdom
29.6. Day 20 Tsaparang – Manasarovar Lake: 300 km, 7–8 h scenic drive
30.6. Day 21 Manasarovar Lake: rest day & explore around campingside
01.7. Day 22 Manasorovar – Paryang: 255 km, drive back to Paryang
02.7. Day 23 Paryang – Dongpa: 107 km, 3–4 h scenic drive and rest
03.7. Day 24 Mount Everest Base Camp – Rongbuk
04.7. Day 25 Rongbuk – Zhangmu: 250 km, about 7 h drive
05.7. Day 26 Zhangmu – Friendship Bridge (Kodari) – Kathmandu: 122 km, 4–5 h scenic drive
Das alles ist sehr vollgepackt. Muss aber so sein, dass kein Verdacht entsteht. Denn ich möchte versuchen ein oder zwei Kontakte zu treffen. Nun liegt es an der Agentur das ganze zu Organisieren. Ich warte nur noch auf die Bestätigung.