MGMT
Ich öffne die Augen. Wo bin ich? Verdutzt schaue ich auf und finde mich in einem kleinen Zimmer, in einem kleinen Haus, am Boden liegend, auf dem ich geschlafen habe. Um mich herum sind Stapel von Büchern und Hippysachen. Bald entdecke ich Thomas, Mark und Vicky im Zimmer verteilt friedlich dösen. Wo sind wir? Ein Blick aus dem Fenster und ich beginne mich zu erinnern. Wir müssen los und zwar sofort! Schnurstracks reisse ich die anderen aus dem Schlaf und wir rennen auf den Bus … Wie kams?
Es ist noch gestern auf Bahn nach unten passiert, wo wir mit Vicky zusammenstossen. Ein Mädel aus Deutschland, in Peking bei Verwandten zu Besuch. Sie nutzt ihre Freizeit um sich Hongkong anzusehen. Die Jungs legen ihre Reise-Lethargie sofort ab und Mark lädt die Dame ein, mit uns noch nach Soho eins Trinken zu gehen. Doch diese Stadt ist teuer. So enden wir mit Dosenbier auf den Treppen, neben der Stairway, einer 800 Meter Rolltreppe, welche die verschiedenen Levels der Stadt verbindet. Die engen Gässchen, die Wand zum Anlehnen und die elend langen Hochhäuser sind unsere Schauplätze. Eingetaucht. Zeit vergessen.
Die schwüle Hitze sitzt zwischen den Gebäuden und wir mittendrin. Vicky meint, sie sei heut am Strand gewesen. Die Jungs meinen: Hier hats nen Strand? Lukas meint: Auf gehts! Im Rausche dieser Idee wird das erstbeste Taxi gestoppt, das um die Ecke kommt und um 1.30 Uhr gehts ab, quer durch die Schluchten der Betonriesen und raus aus dem Ballungsraum. Als würden wir nur einmal leben, stecken wir gleich auch den Taxifahrer an mit unserer Energie. Wie ein Rennfahrer schiesst er um die engen Kurven und bringt gute 30 Minuten später das Gefährt zwischen Felsen und einigen Hütten zum Stehen. Da sind wir. 2.00 Uhr morgens, am Strand. Es ist so ein erfrischendes Bad und der Sandstrand wunderschön – dafür das wir in Hongkong sind.
Hinter uns befinden sich einige Hütten, in wessen Garten ein riesiges Fest zu laufen scheint. Als wir schliesslich genug vom Baden haben und unsere Neugier grösser wird, schleichen wir uns in die Nähe des Hauses. Auf dem Balkon wird gefeiert. Fleisch liegt auf dem Grill, vieles davon versteckt in Alufolie. «Hey, I am Jimmy!» stellt sich ein Mann vor. Wir schrecken auf, sind wir doch eigentlich am Schleichen. Lockeres Tanktop, kurze Hosen und barfuss steht er vor uns. Es beginnt das herrliches Gespräch von wegen woher und warum. Aber nur kurz. Wir erfahren, dass wie soeben eine Geburtstagsfeier crashen. Der 21. seines besten Kumpels. Dieser sitzt hinter uns in einem weissen Plastiksessel und kriegt von seinem Fest bereits nichts mehr mit. Dann wird Bier für die Gäste gebracht. Wir scheinen auch hungrig auszusehen und erfahren die ganze Pracht der Gastfreundschaft. Vom Steak über gegrillte Muscheln und Chickenwings wird uns alles aufgetischt – dazu Bier und Wein.
Auf einen Schlag wachen wir aus unserem Rausch auf. Wie kommen wir zurück? Vicky muss um 9.00 Uhr morgens ihre Fähre kriegen, um ihren Rückflug nach Beijing nicht zu verpassen. An das haben wir nicht gedacht. Die Party nimmt ein jähes Ende. Hier können wir nicht bleiben … denken wir. Jimmy auch. So beenden wir einen perfekten – ich wiederhole: einen perfekten Abend zwei Hütten weiter in Jimmys Garten. Als wären wir schon Vertraute, wird die Runde immer kleiner und die Leute verziehen sich ins Haus.
Als wir nur noch zu zweit sind, beginnt der gute Mann mich auszuquetschen. Er ist kein normaler Hongkonger. Seine Optik hat etwas von Gandhi in Flowerpower. Ich erfahre, warum er im Laufe des Abends immer wieder mit seinem Wissen über Europa beeindrucken konnte. Er ist Abgeordneter Hongkongs und vertritt öfters im Anzug sein Land bei internationalen Konferenzen. Man hätte es ihm nicht gegeben und ich bin froh, dass es solche Menschen in der Politik gibt. Das lässt meinen Glauben daran wieder aufflammen.
Die letzten Register werden gezogen und Jimmy fragt mich über Tibet. Er ist ein belesener Mann. Vom Steppenwolf über Sieben Jahre in Tibet, bis zu viel tiefer gehender Materie über ähnliche Thematiken, die man in Asien nicht erwartet. Ich schätze ihn als leisen Anarchisten ein. Er ist vorsichtig, gibt nicht alles Preis, lässt mich selbst denken. Wir sind zu nah an China um laut zu sein. Es wird 6.00 Uhr. Um 7.00 Uhr soll ein Bus fahren. Irgendwann bin ich dann wohl eingenickt …