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Taining

Mein erstes Training oder: Ich will sterben!!!


Mir war ja sofort, als ich auf die Anlage kam, klar, dass dies keine klassische, chinesische Kampfschule ist. Westler sind hier willkommen und es sind auch einige da. Da stehe ich nun, um 5.30 Uhr auf der Matte, mit einem riesigen Loch im Bauch und verfluche alles und jeden. *uff!* Die Meister sind alles Chinesen, die kein Wort Englisch sprechen und definitiv keine Rücksicht auf den soeben genesenen, hungrigen Lukas nehmen.

Das Einlaufen dauert drei Stunden. Ein Meister hat mich gestern beim Rauchen beobachtet, was hier verboten ist, wie ich nun auch weiss. Somit darf ich bereits am ersten Tag am Strafprogramm teilnehmen. Alles Gestikulieren nützt nichts, denn niemand versteht deutsches Gefuchtel.

Was ich jedoch verstehe, ist die ausgestreckte Hand des Shifus (Meister). Mein Blick folgt seiner Geste und ich mache mich auf den Weg auf einem kleinen Trampelpfad. Meine Schritte beschleunigen sich, als er mir mit Dreck hinterherwirft. Ich fühle mich wie in einem schlechten Film. Hier renne ich nun, bereits nach wenigen Metern keuchend einen Waldhang hinauf, mit dem Ziel den grossen Drachenberg zu besteigen, auf dessen Spitze ich das heilige Wasser finden werde. Und gopfertelli, so ist es wirklich.

Ich bin schon dem Erbrechen nahe, als sich der Wald lichtet und meine Füsse mich hinaus auf ein Feld voller blattreichen Pflanzen schleipfen. Ich weiss nicht wie lange ich bereits unterwegs bin. Es müssen mindestens 30 km sein (Google Maps meint später, es sind 1.5 km). Ich schaue die Pflanzen näher an … die kenne ich doch. Ach du Wixer, ich stehe mitten in einer Tabakplantage. Was für ein Wixer dieser Shifu. Um meine Blase zu leeren, mache ich gleich ein kleines Schiff(u) neben den Weg.

Als ich den Gipfel des Berges erreiche, ist da tatsächlich ein Brunnen, der sich wunderschön verziert in einem kleinen Schrein befindet. Ich erfahre später, dass dieser von der Kung-Fu-Schule aufgestellt wurde, aber in dem Moment find ichs schon ziemlich geil und trinke so viel ich kann – zu viel. Nun entleert sich auch mein Magen, bzw. das was drin ist.

Als ich zurückkomme, ziert ein Lächeln mein Gesicht. *wow* Ich habs geschafft. Soeben bin ich über mich hinausgewachsen. Der Shifu denkt das nicht und mein Lächeln verschwindet, als er seine Hand erhebt und nochmal gegen den Berg zeigt. Nun ist er es, der lächelt.

Ja, so geht der Morgen auch vorbei. Und tatsächlich bekomme ich am Mittag etwas in den Magen, denn diesmal entscheidet sich das Rennen ums Essen, dank der eingebauten Gabel meines Schweizer-Armee-Messers, zu meinen Gunsten. Gott, was für eine Wohltat. Zum Glück wusste ich nicht, auf was ich mich hier einlasse. Ich wäre wohl nie hierher gekommen.

Am Nachmittag darf ich dann tatsächlich mittrainieren. Mein Shifu ist nun einiges entspannter und zeigt mir die Grundposition des Internal Shaolin Kung Fu. Und das ist dann auch das Einzige, was ich heute mache. Sechs Stunden verharre ich in dieser Grundposition. Erst spät abends werde ich erlöst und darf beim gemeinsamen Tai Chi mittun.

Mein Meister ist so, wie man ihn sich im Bilderbuch vorstellt. Elegant gekleidet, ein Mr. Fuji Bärtchen und knallhart wenns ums Trainieren geht. Er selbst bewegt sich geschmeidig wie ein Tier – fantastisch.

Was wirklich faszinierend, wenn nicht fast unglaublich ist, man spürt sofort, ob man etwas richtig macht oder nicht. Nämlich dann, wenn man realisiert, wie sich die Kraft in einem sammelt. Dies geschieht nur, wenn die Körperhaltung genau richtig ist und die Kraftpunkte sich so fokussieren. Es ist ein herrliches Gefühl. Zu vergleichen mit dem, was man im Bauch spüren kann, wenn man verliebt ist. Daher kommt also die Kraft. Das erinnert mich an ein Zitat aus dem Film Punch-Drunk-Love: «Ich habe eine Liebe in meinem Leben, die macht mich stärker, als du es dir vorstellen kannst.» Simpel, aber so ist es und das habe ich heute gelernt.

Jede freie Minute nutze ich um zu schlafen. Ein einziger Tag fühlt sich locker wie drei an. Was werden wir geschliffen. Abends schleppe ich mich in den Internetraum, welcher so ein bisschen als Commonarea dient.

Das Internet hier ist so ne Sache. Wie ihr sicher wisst, befinden wir uns hinter der Great Firewall of China. Das heisst: Kein Google, kein Facebook und schon gar kein YouTube. Alles Westliche, was von China nicht kontrolliert werden kann, ist schlichtweg zensiert. Die Programmierer sind dem Staat aber immer ein Stückchen voraus und entwickeln Tools um das zu umgehen. Aber scheinbar nicht für Mac. Ich sags euch, bis ich endlich Windows richtig am Laufen habe und so konfiguriert habe, dass ich auch auf die Harddisk meines Macs zugreifen kann … *uff* Und jetzt wos läuft, macht mir das lahme Internet einen Strich durch die Rechnung. Seit mir nicht böse, dass ich nicht mein bisheriges Niveau an Fotos und Texten halten kann. Ich bin müde und mein Körper schreit nach ganz viel Liebe.

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