TranzAlpine Express und Kassensturz
Was ich an Dorms am meisten liebe, ist das Früh-am-Morgen-Rausschleichen. Es hat schon was Schelmisches, als Erster wach zu sein und seinen Kram zusammenpacken zu müssen. Jeder der Mitbewohner weiss, dass es nicht anders geht und so wird es toleriert. Aber meine Schadenfreude lässt mich das geniessen. *haha* Heute will ich mal nichts vergessen, schon gar nicht meine Wanderschuhe und so raschle ich halt nach ein bisschen länger rum, bis alles so ist, wie ich es will.
Der Shuttle-Bus soll mich abholen und an den Bahnhof bringen. Aber wie soll ich rauskommen? Ich habe meinen Schlüssel bereits in den Rückgabekasten gelegt und an der Rezeption ist morgens um sieben noch niemand. So kommt es, dass ich vor dem verschlossenen Haupttor stehe und nicht rauskomme. Ich überlege mir bereits, mit welch abenteuerlichen Indiana-Jones-Survival-Techniken ich da rüberklettern könnte. Doch irgendwie ist es mir dann doch zu früh – der Abenteurer in mir erwächt erst nach dem Kaffee ;-) So düse ich zurück ins Haus auf der Suche nach einer wachen Seele, die mir kurz ihren Schlüssel borgt. Ich sehe mich schon hinter dem Tor stehend schreien: «Ich bin hier, wartet auf mich!» Sichtlich überrascht über den Logikfehler des Hostels, öffnet mir dann ein netter Hippie im letzten Moment die Tür.
Heute fahre ich endlich mal wieder Zug. Der berühmte TranzAlpine bringt mich von CHCH nach Greymouth. Viele meiner Mitreisenden nerven sich ab dem schlechten Wetter. Mir wiederum ist das furzegal. Ich brauche heute nicht mehr, als eine Nachricht von Tessa, dass sie gut angekommen ist, gute Musik und einen Fensterplatz zum rausschauen. Es ist herrlich, wie die Tropfen der Scheibe entlangstreichen, als wollten sie mich von all meinen Sünden reinwaschen. Was ich über Tessas Mail von gestern denken soll, ist mir noch genauso schleierhaft, wie der aufkommende Nebel, der sich um die Berge windet und lässt mich umso tiefer in die Musik versinken, die aus den Kopfhörern ertönt.
Die Leute um mich bemängeln das Wetter und trotzdem überfüllen sie die Aussichtsplattform und boxen sich um den besten Platz für ihr Erinnerungsfoto. Ich habe heute ehrlich gesagt gar keine Lust mit irgendjemandem zu sprechen. Erweiche mich dann aber für den Martin und die beiden Shelbys. Ja, es sind zwei davon. Wie gerne hiesse ich heute Ford, das wär ein Lacher. Mit Müh und Not gebe ich mein Versprechen, in Franz Josef mit ihnen ein Bier trinken zu gehen. Jaja, das Travellerfrischfleisch (Neureisende), voller Tatendrang und unaufhaltbar auf Kontaktsuche. Für mich, als inzwischen gefühlter alter Hase in dem Business, der heute einfach mal Ruhe haben will.
Greymouth ist ein süsses, kleines Goldgräberstädtchen, so mit Häuserfronten und nach hinten abfallenden Anbauten. In der Theorie ähnlich wie Wildwest. Ausser, dass es da keinen McDonald’s gibt, der mir Big Mac Nr. 61 serviert. Dafür kann ich heute endlich mal Kassensturz machen (Danke Mami fürs Senden der Unterlagen). Ich stehe gar nicht schlecht da! Seit meiner Abreise stehen ca. CHF 10 000.– Ausgaben ca. CHF 7000.– Einnahmen gegenüber. Einnahmen? Dazu gehören der Bonus, den ich noch von meinem ehemaligen Arbeitgeber erhalten habe und die kleinen Jobs, die ich in Australien erledigen konnte.
Ich bin viel rumgekommen und habe es mir auch oft gutgehen lassen. Es würde billiger gehen (man rechnet CHF 1200.– pro Monat), aber trotzdem bin ich nur CHF 3000.– unter dem, was ich zu Beginn hatte. Das erfreut mich sehr, denn ich dachte, es sei schlimmer. Hat mich doch der Flug nach China mehr gekostet als erwartet und damals in Australien, hab ich ja auch einen in den Sand gesetzt, was mich dann 400 Dollar anstelle von 70 Dollar gekostet hat. Nicht zu reden vom neuen MacBook und dem Gefühl, mal wieder CHF 20.– für ein Essen ausgeben zu müssen. Aber bald gehts nach China, was mich dann nicht mehr als CHF 600.– im Monat kosten sollte. So jetzt habt ihr mal ein bisschen einen Vergleich. Jetzt leg ich mich hin und mache nicht mehr allzu viel. Das Wetter spielt ja auch nicht mit, so habe ich kein schlechtes Gewissen. Füsse hoch, Kopf aus und Ende.