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Pukekohe

Moving Earth


Es ist 20.30 Uhr lokale Zeit und wir haben soeben erfahren, dass ein Erdbeben der Stärke 8.9 auf der Richter-Skala soeben Japan heimgesucht hat. 80 Kilometer vor der Pazifikküste, der daraufhin entstandene Tsunami hat die Küste bereits getroffen. Zwölf Meter hohe Wellen haben das Landesinnere umgegraben und der japanische Premierminister, Naoto Kan, kann nicht mehr machen als zur gegenseitigen Hilfe aufrufen. Ich muss ehrlich zugeben, das geht grad alles andere wie spurlos vorbei.

Japan liegt wie Neuseeland auf dem sogenannten Pazifischen Feuerring, der auch für die Zerstörung Christchurchs verantwortlich war. Jeder hier denkt, wenns da oben kracht, könnte es hier auch gleich so weit sein – again. Die Stärke des Bebens ist nämlich aussergewöhnlich hoch. Autos werden wie Spielzeuge durch die Strassen geschwemmt und durch die Breaking-News gehen Bilder mit einer Perversität ihresgleichen – Japan, das Land der neuen Medien schickt Bilder von Tsunamis. Wie es sich wohl anfühlt als Neuseeländer so was zu sehen?

Ich erinnere mich an damals, als dieser heftige Tsunami halb Südostasien wegspülte und wie ich in aller Panik Jessica zu erreichen versuchte, die damals mit ihrem Freund auf Ko Phi Phi weilte. Dieses Gefühl der Ohnmacht, nichts tun zu können und das Einzige, was man wissen will, ist, dass es den Liebsten gut geht.

Die Tsunamis könnten bis nach Neuseeland reichen. Ganz unverhofft erfahre ich hier zusammen mit meiner Familie am eigenen Leibe, wie sich so was anfühlt.

Es scheint, als ist auch Kurt von der Emotion gepackt. Später am Abend sitzen wir zusammen, mit einer guten Flasche Wein und sprechen über das Thema Familie. Ich frage ihn, warum er damals ausgewandert ist. Er erzählt mir seine Geschichte, wie er Yvonne kennenlernte und wie er vom Motorradreisenden plötzlich zum Touristenführer wurde. Wie er sich mit Yvonne hier in Neuseeland eine Existenz aufbaute, sich aber stets ein Hintertürchen offen lässt – damit das Gefühl der Freiheit nicht verloren geht.

Wir sprechen auch über ernstere Themen, die unsere Familien betreffen. Ich lerne an diesem Abend viel über die mütterliche Seite meiner Verwandtschaft und verstehe, ohne jetzt näher auf Details einzugehen, warum manche Menschen so sind, wie sie sind. Kurt ist erstaunt, wie diese Menschen auf mich abgefärbt haben.

Schon in den letzten Wochen habe ich festgestellt, wie fest ich von meinen Eltern und meinem Umfeld beeinflusst bin. Es herrscht so viel Angst anstelle von gesundem Respekt vor Neuem. Das kann Menschen sehr einschränken. Als Mitgift für meine Reise erzählt mir Kurt eine heftige Geschichte, von der ich mich die ganze Nacht nicht erhole, aber darin viele Fragen beantwortet sehe. Irgendwie weiss Kurt was ich brauche. Und ich fühle mich, als hätte ich soeben einiges verstanden und ein Stück Freiheit erlangt – und Mitleid.

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